Reifenkrise - 320 Euro und mehr für den Satz Reifen?

Ein Bild von der Auslieferung von ZBR Hohl in Leverkusen aus dem Herbst 2021, Foto: Stephan Maderner

Reifenkrise

320 Euro und mehr für den Satz Reifen?

Was ist los auf dem Markt für Motorrad- und Rollerreifen? Der Krieg in der Ukraine, die Sanktionen gegen Russland, die nicht enden wollende Corona-Pandemie mit ihren unterbrochenen Lieferketten, Lockdowns in Asien und globale Arbeitsausfälle wegen Krankheit sowie sündteure Container-Lieferungen erschüttern die Grundfeste der Grip-Branche – eine aktuelle »bike & business«-Umfrage.

„Dass Reifen knapp und teurer werden, ist keine Befürchtung mehr, sondern Gewissheit“, sagt Dennis Adolph, Geschäftsführer von ZBR Hohl. Nahezu alle namhaften Reifenhersteller hätten ihre Preise zum wiederholten Male entweder bereits ab April oder zum Mai dieses Jahres signifikant erhöht. „Wir erleben somit zum Teil bereits die dritte bezie sogar fünfte Preiserhöhung seit Pandemiebeginn. Die Gründe sind offensichtlich und liegen in der Pandemie, dem aktuellen Kriegsgeschehen mit seiner weltpolitisch angespannten Situation und den daraus resultierenden Problemen und Preisexplosionen in der Lieferkette und Logistik“, so Dennis Adolph.

Auch Stefan Onken, Matthies-Geschäftsführer und Heidenau-Vertriebsleiter Pierre Schäffer bringen die aktuelle Reifenkrise auf den Punkt und machen sie an folgenden drei Punkten fest.

  1. Krieg in der Ukraine und Sanktionen gegen Russland: Bei der Produktion von Zweiradreifen wird unter anderem Ruß benötigt, der industriell hergestellt wird. Der Stoff ist unverzichtbar und kommt bisher zu über einem Drittel aus Russland. Russische Lieferungen fallen aus und die europäischen Kapazitäten reichen bei Weitem nicht aus, den Bedarf zu decken. Aber auch bei weiteren synthetischen Kautschukprodukten sowie auch dem im Motorradreifen benötigten Stahl gehören Russland und die Ukraine zu wichtigen Lieferländern. Die Ketten seien teilweise zusammengebrochen. Es sei ziemlich unwahrscheinlich, dass die zeitnah für die Motorradsaison ersetzt werden können.
  2. Corona: Nach wie vor finden starke Verwerfungen durch Produktionsausfälle statt und die Pandemie verzögert die Verschiffung. Man sei wie Stefan Onken eigentlich davon ausgegangen, dass sich das Thema bei Sonnenschein wie 2021 in Wohlgefallen auflöse. Der Ausfall der Motorrad-Regionalmessen habe schon sehr geschmerzt, mein Pierre Schäffer. Zudem herrsche überall ein hoher Krankheitsstand, Unternehmen in Asien befänden sich im Lockdown und es bestünden massive Produktions- und Lieferausfälle. „Wir hatten wegen Krankheit noch nie so viele Reifen im Rückstand wie gegenwärtig“, sagt Schäffer. Gleichzeitig steige die Nachfrage überproportional, weil die Pneus aus Asien fehlten. Das gelte insbesondere für das Angebot an Diagonalreifen, die auch im beliebten Reiseendurobereich eingesetzt werden. Wenige Spezialisten wie Heidenau produzierten zwar noch in Europa Diagonalreifen, werden der Nachfrage aber derzeit kaum Herr.
  3. Containerkosten: Ursache siehe zweitens. „Die kommen langsam runter“, sagt Onken. „Der Preis stand Mitte April bei etwa 8000 Euro pro Container. Wir waren bei einem 20-Fuß-Container auch schon bei 12.000 Euro, deshalb freuen wir uns. Wir waren aber vor Corona bei unter 2000 Euro.“ Rollerreifen passen zirka 1500 Stück in einen Container, das wären also über fünf Euro Fracht pro Reifen. Bei Motorradreifen müssen entsprechend höhere Preise kalkuliert werden. Stefan Onkens Fazit: „Ich rechne mit deutlich höheren Preisen bei Reifen und eingeschränkter Auswahl. Also gegebenenfalls wird es den 180/55x17 nicht in 20 verschiedenen Ausführungen geben, sondern nur noch in vier Varianten.“

Heidenau-Mann Schäffer, der Produkte normalerweise im 40-Fuß-Container anliefern lässt, beklagt die Kostenexplosion im Logistikbereich ebenfalls. Er glaubt nicht so sehr an die Einschränkung der Variantenvielfalt, sondern dass die Kunden dann halt von ihrem Wunschpneu auf alternative Reifenhersteller oder -produkte umsteigen müssten, die noch lieferbar seien.

Zwar begebe man sich laut dem Heidenau-Mann derzeit bereits auf die Suche nach neuen Lieferquellen in Europa. Doch den akuten Mangel an Motorradreifen könnten die europäischen Pneuhersteller nicht so schnell und schon gar nicht völlig kompensieren. Es fehle in diesen Breiten einfach an Manpower, die Personal-, Transport- und Energiekosten seien hoch und Rohstoffe Mangelware. „Die Industrie sieht sich jetzt schon gezwungen, die explodierenden Kosten an die Endverbraucher weiterzugeben“, so Schäffer.

Die an dieser Stelle genannten Zahlen kann Dennis Adolph nur bestätigen: „Haben wir bis 2020 für einen Container aus Übersee noch unter 2000 Euro Transportkosten bezahlt, werden wir in den letzten zwei Jahren in der Spitze mit dem siebenfachen Preis konfrontiert!“ Das sei sehr schwierig, da Containerware oft als Low-Budget-Produktplatzierung gezielt über das Preis-/Leistungsverhältnis verkauft wird und die exorbitanten Logistikkosten aus Übersee den Preisvorteil gegenüber anderen Produkten aus europäischer Produktion somit oftmals aufwiegen.

Bereits 2021 wies der ZBR Hohl-Geschäftsführer im Hinblick auf seine Erwartungen für 2022 auf Folgendes hin und behielt bis dato Recht damit: „Als größte Herausforderung für 2022 sehen wir weiterhin die Warenverfügbarkeit. Trotz frühzeitiger und optimistischer Planung stellen wir nach wie vor fest, dass die Verfügbarkeit seitens der Reifenindustrie bei weitem nicht so hoch ist wie vor der Pandemie. Wir sehen uns zwar mit unseren aktuellen Lagerbeständen bereits gut für die kommende Saison gerüstet, jedoch ist bereits absehbar, dass vereinzelte Produkte, insbesondere mit Produktion in Übersee, in der Saison nicht ausreichend verfügbar sein werden. Kontinuierlich werden seitens der Hersteller geplante Liefertermine abgesagt oder um Wochen oder sogar Monate verschoben. Engpässe in allen Bereichen, sei es Rohstoffe, Produktion, Personal und vor allem Logistik und Überseetransport machen das gesamte Jahr und vermutlich auch 2022 eine verlässliche Lieferkette nahezu unmöglich. Dennoch sind wir sehr sicher, dass auch 2022 so gut wie kein Motorradfahrer sein geliebtes Bike aus Mangel an Bereifungsmöglichkeit in der Garage stehen lassen muss. Er hat halt nur nicht mehr die vor Corona-Zeiten gewohnte Fülle an Alternativen bei seiner Reifenauswahl. Angesichts der weitreichenden Probleme in anderen Branchen ein sicherlich zu verschmerzender Umstand für uns Biker.“

Dennis Adolphs Fazit: „Grundsätzlich muss die gesamte Reifenindustrie aufpassen, dass wir trotz aller Kostenentwicklungen das Hobby Motorradfahren nicht unbezahlbar machen. Wurden vor ein bis zwei Jahren an der Theke des Händlers für den gewünschten Satz Motorradreifen noch beispielsweise 250 Euro aufgerufen, so muss man aktuell für den gleichen Reifensatz sicherlich mindestens 320 Euro oder sogar noch mehr zahlen. Sicherlich war Motorradfahren in seinem Gesamtpaket bereits vor Pandemie und Kriegsbeginn ein kostspieliges Hobby, dennoch wird sich angesichts der aktuellen Inflation und Preissteigerungen in den Bereichen des täglichen Bedarfs, wie Lebensmittel und Energie, der ein oder andere Biker sicherlich die nachvollziehbare Frage stellen, ob man sich das geliebte Hobby noch in gewohntem Ausmaß leisten kann und möchte.“

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