Professor Dr. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Verschärfte Grenzwerte

Bringt Euro 7 das Aus für den Verbrennungsmotor?

Im Rahmen ihres »Green Deal« will die EU-Kommission die Nettoimmissionen mittelfristig auf Null reduzieren. Zu diesem Zweck werden auch die Grenzwerte für Pkw verschärft. Die ab 2025 gültige Norm Euro 7 könnte nun noch strenger ausfallen als bisher angenommen.

Im kommenden Jahr will die EU-Kommission die ab 2025 gültige Abgasnorm Euro 7 vorstellen. Zur Erarbeitung der Norm und Festlegung der Grenzwerte hat Brüssel ein Expertengremium, die »Advisory Group on Vehicle Emission Standards«, mit einer Studie beauftragt. Die nun bekanntgewordenen Grenzwerte fallen noch deutlich strenger aus, als erwartet.

Gravierender noch als die absoluten Werte sind jedoch die Rahmenbedingungen. Diese entsprächen nach Ansicht vieler Experten nicht der Realität. Knackpunkt ist die Neuregelung des RDE-Tests (Real Drive Emissions), der mit einem mobilen Messgerät die Einhaltung der Grenzwerte im Fahrbetrieb misst. Nach der jetzt diskutierten Novelle müssten Autos die vorgegebenen Grenzwerte künftig nicht nur bei Temperaturen von minus 10 bis plus 40 Grad erfüllen, sondern auch in 1000 oder 2000 Metern Höhe, über eine theoretische »Lebenszeit« von 15 Jahren und mit Dachbox, Fahrradträger oder Anhänger – Anforderungen, die entweder nicht oder nur mit einem Aufwand zu erfüllen wären, der Verbrennungsmotoren unerschwinglich teuer machen würde. Fachleute sprechen von einer »Kriegserklärung an Diesel und Benziner«.

Erstaunlich ambivalent ist die Rolle der potenziell besonders betroffenen deutschen Automobilindustrie. Während sich Insidern zufolge der VW-Konzern, der schwerpunktmäßig auf batterieelektrische Antriebe setzt, für eine möglichst strenge Regelung eingesetzt haben soll, entwickelt Daimler gemeinsam mit seinem chinesischen Partner Geely einen neuen Benzinmotor für die Mittelklasse.

Nun gibt es massive Kritik von Expertenseite am Vorgehen der EU-Kommission. Das Procedere sei von ideologischen Vorgaben getrieben gewesen, abweichende Expertenmeinungen seien systematisch unterdrückt worden. Einer der Kritiker ist Professor Dr. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Interview mit Professor Dr. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Herr Professor Koch, wie ordnen Sie die Vorschläge des Expertenpanels zur EU-7-Norm ein?

Der jetzt kommunizierte Vorschlag ist nicht der Vorschlag der Experten. Die Technikexperten wurden vielmehr komplett ausgehebelt und de facto nicht gehört. In der Gruppe wurden drei Vorschläge ausgearbeitet, und schon der Vorschlag B war nahe am Nichtdarstellbaren. Die EU-Verantwortlichen haben jedoch den nochmals schwierigeren Vorschlag C genommen und massiv weiter verschärft. Dabei wurden die Fachexperten völlig übergangen, man hat sich allerdings ihres guten Namens bedient. Übrigens sieht es aus, als würde die EU-Kommission jetzt etwas zurückrudern. Das ist eine gute Entwicklung.

Sie wenden sich gegen jede Verschärfung?

Überhaupt nicht. Ich begrüße die generelle Überarbeitung und Verfeinerung der Euro-6d-Norm, die ja schon ausgezeichnet ist, um ein paar Schwächen auszumerzen. Das wäre erstens die Aufnahme von zwei weiteren Emissionskomponenten, nämlich Lachgas und Ammoniak, einfach um eine umfassende Betrachtung zu erzielen. Zweitens sollte die Durchführung der Tests vereinfacht werden. Diese sind heute nämlich viel zu komplex und eigentlich nicht mehr nachvollziehbar. Und dann sollte man drittens im Sinne einer kontinuierlichen Verschärfung auch die üblichen Emissionen, die schon auf niedrigstem Niveau liegen, nochmals dem neuesten Stand der Technik entsprechend reduzieren, das ist ebenfalls sinnvoll und machbar.

»Das ist reine Mutwilligkeit.«

Wo liegen dann die Probleme?

Die Herausforderungen liegen nicht in der Zielerfüllung einzelner Anforderungen. Es ist auch gut, nochmals eine homöopathische Verbesserung zu erzielen, das begrüße ich. Aber die Vorgabe verlangt eine mehrfache Überlagerung von schärfsten Randbedingungen – ohne relevanten Nutzen für die typische Stadtluft. Das ist reine Mutwilligkeit.

Was bedeutet das in der Praxis?

Nehmen wir das berühmte Stickstoffoxid. Euro-6d-Temp Fahrzeuge mussten in einem Feldversuch einen Realmesswert von 168 Milligramm pro Kilometer bei 3°C erfüllen, EURO-6d-final-Fahrzeuge müssen 114 Milligramm pro Kilometer auch bei 0°Celsius einhalten, bei -7°C sind es 183 Milligramm pro Kilometer. Die Herausforderung ist hierbei schon gewesen, dass jedes Auto dies auch nach 160.000 Kilometern – unabhängig von seiner Historie – einhalten muss, was generell begrüßenswert ist. Jedoch ist die Statistik der großen Zahlen die Herausforderung. Zur Absicherung liegen die Fahrzeuge bei normalen Randbedingungen deshalb jetzt schon bei rund 5 bis 30 mg/km. Aber es soll jetzt auch das einmillionste Fahrzeug mit 197.000 Kilometern, im Winter, mit Vollgas bei kaltem Motor und mit Wohnwagen am Haken 30 mg/km einhalten, ein Wert, der geringer ist als die analysierte Messgenauigkeit. Das ist nicht darstellbar. Auch nicht als Plug-in-Hybrid.

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Also läuft es auf die reine E-Mobilität hinaus?

Die E-Mobilität kann und wird einen Teilbeitrag zur Verbesserung des Antriebsmix beisteuern. Jedoch ist die Forderung Willkür, beim Verbrenner den Wert null zu erreichen. Beim deutschen Strommix liegt der Stickoxid-Ausstoß eines Elektroautos bei 80 bis 100 Milligramm pro Kilometer, der modernste Dieselbeitrag liegt signifikant darunter. Dieser ist so gering, dass er auch an vielbefahrenen Straßen nur zu einer Gesamtemission von ca. 1 Mikrogramm pro Kubikmeter führt. Das ist Homöopathie! Die EU-Verantwortlichen haben ja auch betont, dass es nicht mehr um die Luftqualität geht, sondern beim Verbrenner nur um das Prinzip »Zero«. Aber wer den Stickoxid-Ausstoß wirklich auf null setzen möchte, müsste die Elektro-Flotte sofort verbieten, was natürlich auch nicht sinnvoll ist.

»Ausgerechnet das Bundesumweltministerium blockiert.«

Haben Sie eine Lösung?

Beim Stickoxid-Ausstoß ist der moderne Verbrenner im Vergleich zum Elektroauto sogar klar im Vorteil. Und endlich widmen wir uns nach den letzten Jahren intensiv dem Thema CO2. Hier haben alle Technologien der Elektrifizierung – Brennstoffzelle, BEV oder Hybridfahrzeuge – Herausforderungen bei Produktion, Lebensdauer und Entsorgung, aber auch Potentiale, die genutzt werden müssen. Auch VW hat ja gerade betont, dass große Batterien für lange Reichweiten keine sinnvolle Lösung darstellen. Beim Verbrenner lassen sich langfristig die CO2-Emissionen gegen null entwickeln, das Problem ist der heutige fossile Kraftstoff, der Stück für Stück durch biogenen und synthetischen Kraftstoff ersetzt werden muss. Da bewegt sich viel in Europa, aber ausgerechnet das Bundesumweltministerium blockiert hier Fortschritte zum Nutzen der Umwelt. Und zwar mit leider teilweise fadenscheinigen Argumenten.

Zum Beispiel?

In der Umsetzung der Richtlinie für erneuerbare Energien schlägt das Bundesumweltministerium auch im zweiten Anlauf nach massivem Druck gerade einmal einen anrechenbaren Anteil von 14 Prozent synthetischer Kraftstoffe auf den CO2-Ausstoß vor.
Warum gehen wir nicht mit ambitionierten 20 bis 30 Prozent im Jahr 2030 ins Rennen, wie von der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) gefordert? Wenn wir die CO2-Reduzierung wirklich ernst nehmen, können wir sie nicht als Steigbügelhalter für höchst einseitige Technologievorgaben und damit der Schädigung aller alternativen Technologien missbrauchen.
Leider werden heute die CO2 Potentiale regenerativer synthetisierter Kraftstoffe, beispielsweise von R33-Kraftstoffen, immer noch nicht in der Nutzung anerkannt. Dabei läuft zum Beispiel unser 13 Jahre alter Passat seit Jahren völlig problemlos damit.

Warum wird blockiert?

Man hat mir schon bestätigt, dass man Angst hat, dass dem batterieelektrischen Auto die Argumente ausgehen, wenn zeitnah synthetische Kraftstoffe vorliegen würden. Deshalb wird jetzt mit aller Gewalt versucht, diese re-Fuels von der Individualmobilität mittel- und langfristig auszuklammern. In der zutiefst ideologischen Debatte, die leider mittlerweile einem Glaubenskonflikt ähnelt, wird mit allen Tricks gearbeitet, damit der Verbrenner unbedingt stirbt.
Die vernünftige Argumentation, dass es anwendungsspezifisch unterschiedliche Lösungen gibt, wird auf das schärfste attackiert. Die Autohersteller wiederum fürchten sich aktuell vor allem davor, dass ihre Milliardeninvestitionen in die Elektroautos keine Erlöse erzielen. Zudem achten sie peinlich genau darauf, politisch korrekt zu kommunizieren. Wenn wir wirklich das Thema Nachhaltigkeit und die CO2-Restbudgetermahnung des IPCC ernst nehmen, müsste die gesamte Technologiediskussion anders geführt werden.

»Wir haben ein Energiespeicherproblem.«

Was könnte denn synthetischer Kraftstoff kosten? Und ist der schlechte Wirkungsgrad kein Argument dagegen?

Was die Kosten betrifft, sind je nach Standort 90 Cent bis 1,30 Euro pro Liter darstellbar, Erdöl-basierter Kraftstoff liegt bei 60 bis 70 Cent. Vergessen Sie nicht, dass die Menschen damit ihre bewährten und guten Autos langfristig CO2-neutral weiterfahren können. Ein nicht valides Argument gegen re-Fuels ist das der Wirkungsgradkette. Der Wirkungsgrad gibt zunächst an, wie weit man mit einer gewonnenen elektrischen Energie fahren kann, entweder direkt im BEV oder über den Umweg eines »elektrisch erzeugten« Kraftstoffes. Der Weg via BEV erlaubt in der Tat im Mittel zunächst eine dreimal weitere Fahrdistanz. Wir werden den Kraftstoff aber nicht mit Wind-, Wasser- und Sonnenhilfe in Europa herstellen, sondern in vielen deutlich geeigneteren Regionen der Welt. Als Ausgangsstoff benötigt man neben elektrischer Energie nur Bestandteile der Luft. Weil es aber kein Stromkabel von Australien oder Südamerika nach Idar-Oberstein gibt, wird der Kraftstoff auch nicht in Europa produziert. Somit stellt sich der Wirkungsgradvergleich gar nicht. Energie ist weltweit im Überfluss verfügbar. Wir haben aber ein Energiespeicherproblem, welches über diesen Weg ebenfalls gelöst wird.

Wie beurteilen Sie die Diskussion im internationalen Vergleich?

Da nehmen wir Europäer derzeit eine Sonderrolle ein. Wirtschaftlich entwickeln manche Europäer mehr Leidenschaft, den Euro-League Primus Deutschland zu schädigen, anstatt dem World-Cup-Sieger China etwas entgegensetzen zu wollen. Asien als größte Wirtschaftszone der Welt setzt neben anderen Lösungen weiterhin sehr stark auf den Verbrenner, weil dort eine ökologisch-ökonomische Gesamtbetrachtung vorgenommen wird. Und auch in Nordamerika, erst recht in Südamerika und Afrika, wird es ihn noch sehr lange geben. Fast auf der ganzen Welt sind Verbrennungsmotoren Bestandteil der Strategie. Aber wenn wir ihn unbedingt verbieten wollen, hat das selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Sie denken an den Verlust von Arbeitsplätzen?

Eine Technologie künstlich nur wegen der Arbeitsplätze zu erhalten, wäre natürlich falsch und würde langfristig teure Subventionen bedeuten. Beim Verbrenner ist allerdings das Gegenteil der Fall. Mit dem Kampf vieler Politiker gegen den Verbrenner erleben wir etwas anderes: Der jahrhundertealte Menschheitstraum der individuellen – automobilen, nämlich selbst-beweglichen – Mobilität für jedermann wird gerade klammheimlich zerstört. Die ideologisch aufgeladene Diskussion treibt einen Keil in die Gesellschaft, sobald die Menschen merken, dass Reichweitenmobilität nur noch für Besserverdienende bezahlbar sein wird. Natürlich darf man der Meinung sein, dass die individuelle Mobilität massiv eingeschränkt oder verboten werden soll. Dann soll man das aber bitte auch offen sagen, und dann kann die Gesellschaft faktenbasiert darüber diskutieren.

Das Interview führte Jens Meiners von Auto-Medienportal.net

Foto: Professor Dr. Thomas Koch. Auto-Medienportal.Net/KIT

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